Tagebuchaufzeichnungen eines Unlebendigen I

23. Mai
Liebes Tagebuch! Was mir in letzter Zeit am meisten Spaß macht, ist das Rühren im Kaffee. Morgens fang ich schon an! Ich rühre, wie ich noch nie zuvor gerührt habe, nämlich besonders intensiv, und mittags mache ich eine kleine Pause. Meistens nehm’ ich eine Kuchengabel zum Rühren. Das Besondere daran ist: Mit einer Gabel vermischt sich alles viel schlechter! Ein langanhaltendes Rühren wird somit sinnvoller.

26. Mai
Krümel! Überall find’ ich Krümel. Ab mittags staubsaug’ich dann. Meistens beginn’ ich in den vorderen Zimmern – und saug mich durch zu den hinteren. An Dienstagen mach ich’s anderes herum. Da beginne ich mit den hinteren Zimmern. Das falschrumme Staubsaugen macht mir in letzter Zeit mehr Spaß. Ich denke, ich werd’ die Dienstagsvariante auch auf die Donnerstage und Sonntage ausdehnen. Außerdem hab’ ich mir heute viermal die Nase geputzt.

18. Juni
Heute Morgen habe ich eine Unterhose auf den Boden geschmissen – das klingt jetzt vielleicht ein bisschen
belanglos, im Vergleich zu den anderen, spannenden Sachen, die ich hier sonst immer aufschreibe – aber diese Unterhose bildete ein seltsame Form, wie sie da auf dem Boden gelandet war: Sie sah aus wie ein Gesicht! Ich ließ sie so liegen.

29. Juni
Wie schön es ist, auf dem Klo zu sitzen! Und sich Zeit zu nehmen – und in einen Atlas zu gucken. Was ich verblüffend finde: Nach über zehn Minuten kommt tatsächlich noch ein Pissstrahl raus, mit dem man gar nicht mehr gerechnet hätte! Weißt du überhaupt, dass die Hauptstadt der Mongolei Ulan-Bator heißt?

8. Juli
Ich habe festgestellt, dass sich inzwischen ein fester Tagesablauf – wie von selbst – ritualisiert hat! Erst lieg
ich im Bett und will nicht wach werden. Dann merk ich, dass es klappt! Wenn ich dann das nächste Mal wach werde, ist es schon Zeit, staubzusaugen. Der Rest ist immer gleich.

20. Juli
Wie lang braucht man wohl, um einen Roman fertigzustellen, indem man ohne Hingucken auf die Tasten haut? Manchmal kommt ein Wort heraus, das es gibt. Ungefähr alle drei Tage. Das lass ich dann stehen. Mein Roman hat jetzt elf Wörter. Der Sinnzusammenhang ist surreal.

(…)

© Myk Jung

aus »Ich bin dann mal tot«
ISBN 978-3-936819-45-8